China als Supermacht des Mittelalters
Vor 1400 Jahren leitete im Jahr 618 der Aufstieg der Tang-Dynastie eine besondere
Epoche der chinesischen Geschichte ein
"Seit alter Zeit hat jedermann die Chinesen geehrt und die Barbaren verachtet; nur ich alleine liebe sie als Einheit"; so fasste Kaiser Taizong (reg. 626-649) das Ideal seiner über das Reich der Mitte hinaus alle Nachbarvölker umfassenden Herrschaft zusammen. Tatsächlich stieg China unter der Tang-Dynastie von 618 bis 907 zu einer frühmittelalterlichen Supermacht auf, die Truppen entlang der Seidenstraße bis an die Grenzen Irans sandte und Handelsschiffe aus dem ganzen Indischen Ozean bis hin nach Ostafrika anlockte. Die Erinnerung daran ist gerade im modernen China lebendig.
Die "Wiedervereinigung" Chinas
Seit dem frühen 4. Jahrhundert n. Chr. war die vormals bestehende Einheit Chinas zwischen konkurrierenden Dynastien im Süden und im Norden des Landes zerbrochen. Doch begründete im Jahr 581 General Yang Jian unter dem Kaisernamen Wendi die Sui-Dynastie, die zuerst den Norden und 588/589 auch den Süden unter ihre Kontrolle bringen konnte. Die Sui verstanden sich als Nachfolger der Han, die zwischen 206 v. Chr. und 220 n. Chr. das erste vereinte chinesische Kaiserreich beherrscht hatten, und gründeten großangelegte neue Hauptstädte an den Orten der alten Residenzen Chang'an und Luoyang. Zur Versorgung dieser Metropolen, aber auch zur allgemeinen Lenkung der Ernte- und Steuererträge des reichen Südens begann Wendi mit dem Bau eines tausende Kilometer umfassenden Kanalsystems, das die Flusssysteme des Huang He und des Jangtsekiang miteinander verbinden sollte.
Unter seinem Sohn und Nachfolger Yangdi (reg. 604-618) wurden diese Arbeiten fortgesetzt, angeblich unter Mobilisierung von mehreren hunderttausend Arbeitskräften pro Jahr. Als dazu noch die Belastungen für den Ausbau der neuen Hauptstädte sowie mehrere verlustreiche, aber erfolglose Feldzüge gegen das koreanische Königreich Koguryo kamen, brachen in verschiedenen Regionen des Reiches Aufstände auf. Im Jahr 618 wurde Kaiser Yangdi ermordet. Aus dem Bürgerkrieg ging General Yuan aus der Familie der Li als Sieger hervor, der als Kaiser Gaozu am 18. Juni 618 die neue Tang-Dynastie begründete. Bis 626 gelang es den Tang, ganz China unter ihre Kontrolle zu bringen und auch einen bis vor die Hauptstadt Chang'an vorgetragenen Angriff des in der heutigen Mongolei herrschenden osttürkischen Khanats, das von den innerchinesischen Kämpfen profitiert hatte, abzuwehren.
Karte: Asien um das Jahr 750 n. Chr., mit dem China der Tang und dem arabischen Kalifat als "Supermächten"
Eine Weltmacht und eine Millionenstadt
Kaiser Gaozu wurde durch seinen Sohn Li Shimin gestürzt, der als Kaiser Taizong (reg. 626-649) die Grundlagen für den Aufstieg Chinas zur "Supermacht" in Eurasien legte. Bis 630 gelang ihm die Unterwerfung des nach einer Serie von katastrophalen Wintern, Hungersnöten und inneren Aufständen geschwächten Osttürkenkhanats und die Errichtung einer Oberhoheit über weite Teile der Steppe. Von seinen neuen nicht-chinesischen Gefolgsleuten ließ sich der Kaiser zum "Himmelskhan" (Tian kehan) ausrufen. Der Unterwerfung des Osttürken-Khanats folgte eine Expansion nach Nordwesten entlang der Handelsrouten der "Seidenstraße" ins Tarimbecken und darüber hinaus ins westliche Zentralasien. Um 660 erstreckte sich die chinesische Oberhoheit bis an die Grenzen des Iran. Intensiviert wurden durch die Westexpansion auch die Kontakte zu Indien, das als "Heiliges Land" des seit dem 1. Jh. n. Chr. in China immer weiter verbreiteten Buddhismus gesteigertes Interesse genoss; zwischen 618 und 750 sind nicht weniger als 50 diplomatische Missionen zwischen indischen Fürsten und den Tang überliefert. Dazu kamen Gesandtschaften aus aller Herren Länder von Persien bis nach Japan, die zusammen mit einwandernden Kaufleuten, Künstlern und Handwerkern zum kosmopolitischen Charakter der Hauptstadt Chang´an (das heutige Xian) beitrugen. In dieser streng geometrisch nach einem Schachbrettmuster angelegten Metropole lebten auf einer Fläche von 85 Quadratkilometern an die zwei Millionen Menschen, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt. Die Pracht der Hauptstadt, aber auch andere Aspekte der Kultur
der Tang-Zeit wurden zum Vorbild der Nachbarn, insbesondere in Korea und im entstehenden japanischen Kaiserreich.
Die Hauptstadt der Tang-Dynastie Chang´an im Flächenvergleich mit anderen Hauptstädten des Mittelalters
Die Kosten der Expansion
Die weitreichende (und teure) Ausdehnung chinesischer Macht rief allerdings auch Kritiker aus den Plan - und rückblickend warf im 11. Jahrhundert der Historiker Sima Guang den Tang vor, versucht zu haben "die Völker in allen vier Himmelsrichtungen zu verschlucken". Tatsächlich stellten bald neue Herausforderer den Weltherrschaftsanspruch der Tang in Frage, darunter das unter den Kaisern der Yarlung-Dynastie ab 601entstehende Großreich der Tibeter. Diese orientierten sich zwar ebenfalls am kulturellen Vorbild der chinesischen Nachbarn und importierten von dort Elemente des Buddhismus, rangen aber den Tang ab 670 die Kontrolle wichtiger Städte entlang der Handelsrouten im östlichen Zentralasien ab. Um 682 ging auch die Oberhoheit über die Steppen der Mongolei durch die Gründung eines zweiten (Ost)Türkischen Khanats verloren. In China regierte zu diesem Zeitpunkt Wu Zetian (reg. 690-705), die als Lieblingsfrau des Tang-Kaisers Gaozong zur mächtigsten Figur am Hof aufgestiegen war und nach seinem Tod 683 zuerst
mittels ihrer Söhne als Marionettenkaiser herrschte, ehe sie sich selbst zur (erstmals in der chinesischen Geschichte) alleinherrschenden Kaiserin ausrufen und sogar eine neue Dynastie (der Zhou) in Ablöse der Tang verkünden ließ. Zur Legitimation ihrer Herrschaft förderte sie insbesondere den Buddhismus, wurde in dessen Schriften wie der "Großen Wolkensutra" doch die Herrschaft einer Frau sogar als Ideal beschrieben. Allerdings wankte nach einigen Jahren das Regime der bald 80jährigen, und 705 wurde sie zur Abdankung gezwungen. Erst ab 712 konnte die wiederhergestellte Herrschaft der Tang unter Kaiser Xuanzong (reg. 712-756) stabilisiert werden. Inzwischen war neben den Tibetern und den Türken aber mit dem arabisch-islamischen Kalifat eine den Tang durchaus ebenbürtige Supermacht durch den Iran bis nach Zentralasien vorgedrungen und stellte nun ebenfalls dort die chinesische Machtstellung in Frage.
Das buddhistische Heiligtum in der Fengxian-Höhle in Longmen, errichtet auf Befehl der Kaiserin Wu Zetian im späteren 7. Jh.
Zusammenbruch und Wiedererrichtung des Reiches
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurden neue große Grenzkommandanturen eingerichtet, die mehrere Provinzen unter einem zentralen Kommando vereinten; dieses legte man zuerst in die Hände chinesischer Adeliger. Nachdem man aber befürchtete, diese könnten selbst nach dem Kaiserthron greifen, vertraute man diese Posten auch Generälen ausländischer Herkunft an. Einer von ihnen, der koreanisch-stämmige Feldherr Ko Sonji, unternahm 747 bis 750 mehrere erfolgreiche Feldzüge in Zentralasien, ehe er im Juli 751 am Fluss Talas im heutigen Kirgisistan einer arabischen Armee unterlag. Dieser Sieg war zwar ein Prestige-Erfolg des Kalifats im "Fernduell" mit den Tang (und kriegsgefangene Chinesen wurden bis in die Reichszentrale der Kalifen im Irak verbracht, von wo einigen sogar die Rückkehr nach China gelang), nachhaltig gefährdet war die chinesische Position in Zentralasien vorerst aber nicht. Jedoch wagte es im Jahr 755 ein anderer der mächtigen Grenzgeneräle, An Lushan, Sohn eines sogdischen Vaters und einer türkischen Mutter, die Tang-Dynastie herauszufordern. Ihm gelang es, die kaiserlichen Armeen zu überraschen und die Hauptstädte Luoyang und Chang'an einzunehmen, wo er sich 756 zum Kaiser ausrufen ließ. Allerdings fiel er schon 757 einem Mordkomplott um seinen eigenen Sohn An Qingxu zum Opfer. Mit Waffenhilfe der Uiguren, die inzwischen die Vormacht in den mongolischen Steppen erlangt hatten, konnte allmählich der Tang-Kaiser Suzong (reg. 756-762) wieder die Oberhand gewinnen, aber es sollte bis 763 dauern, ehe die letzten Rebellen besiegt werden konnten. Chang'an wurde mehrfach Opfer von Plünderungen, zuletzt 763 sogar durch eine überraschend vorrückende Armee der Tibeter. Und auch sonst war das Imperium nach diesen Jahren der Unruhe nicht mehr dasselbe; viele Provinzkommandanten im Nordosten, wo der Aufstand des An Lushan seinen Anfang genommen hatte, regierten nun weitgehend eigenständig unter nur mehr nomineller Oberhoheit des Kaisers und entrichteten auch keine Steuern mehr. Das Regime in Chang'an blieb gegen innere und äußere Gegner abhängig vom Bündnis mit dem Khan der Uiguren, die sich diese Unterstützung durch Handelsprivilegien und andere Vorrechte teuer abgelten ließen.
Ein zentralasiatischer Kaufmann auf einem Kamel, Keramik aus der Zeit der Tang (Shanghai Museum)
Zwischen Begeisterung für das Exotische und Xenophobie
Die langwierigen Kämpfe schädigten auch die Handelsrouten von Chinas Nordwesten nach Zentralasien; dies trug gemeinsam mit der wirtschaftlichen Dynamik der südchinesischen Gebiete zu einer stärkeren Nutzung der Seeverbindungen im Indischen Ozean von Südchina über Südostasien nach Indien und in die islamische Welt bis in den Persischen Golf bei. Aktiv waren darin vor allem die arabischen und persischen Händler neben ihren Kollegen aus Indien und Südostasien, die alle gemeinsam im südchinesischen Hafen Guangchou (Kanton) im 8. und 9. Jahrhundert ganze Stadtviertel bevölkerten. Über die im 7. Jahrhundert errichteten Kanalsysteme entwickelte sich ein intensiver Verkehr auch zwischen dem Süden Chinas und dem Reichszentrum der Tang-Kaiser im Norden, die ihre Finanzen durch Besteuerung des Handels etwa mit Salz auf eine neue Grundlage stellen konnten. Gleichzeitig gelangten weiterhin "exotische" Güter, Kenntnisse und auch Menschen auf diesen Routen an den Hof der Tang; dazu gehörten auch Elefanten, die als diplomatische Geschenke auf dem Seeweg aus Südostasien und dann durch ganz China transportiert wurden. Als Kaiser Dezong (reg. 779-805) kurz nach seiner Thronbesteigung die exotischen Tiere aus den Palastparkanlagen freiließ, um Kosten zu sparen, befanden sich darunter nicht weniger als 32 Elefanten, die ohne die Pflege des Hofes im Norden Chinas wohl nach kurzer Zeit zugrunde gingen.
Zu Maßnahmen gegen "ausländische" Einflüsse kam es allerdings unter Kaiser Wuzong (reg. 840-846), der nach dem Zusammenbruch der mittlerweile ungeliebten Schutzmacht des Uiguren-Khanats gegen "importierte" Kulte wie den (von den Uiguren praktizierten) Manichäismus, das Christentum und vor allem den Buddhismus vorging. Dafür besitzen wir die eindrückliche Beschreibung des damals in China weilenden buddhistischen Mönchs Ennin aus Japan. Angeblich mehr als 4600 Klöstern und 40000 Schreine und Heiligtümer wurden beschlagnahmt, auch zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen; zehntausende Mönche und Nonne versetzte man in den Laienstand (und somit in den Status von Steuerzahlern).
Kopfstück der im Jahr 781 errichteten Stele mit einer Inschrift zur Geschichte der christlichen Gemeinde in der Tang-Hauptstadt Chang´an
Der Untergang und das Erbe der Tang-Dynastie
Dieser Ausbruch von Xenophobie und auch die Gewinne aus den Konfiskationen vermochten aber das Tang-Regime nicht zu stabilisieren; die Macht der Reichszentrale über die Provinzen verfiel immer mehr, und selbst das Ansehen des Tang-Hofes im Ausland wurde geschwächt (eine letzte offizielle japanische Gesandtschaft wurde z. B. 838 entboten). Instabilität und immer wieder ausbrechende Rebellionen schädigten auch den Handel, nicht zuletzt durch Übergriffe auf Ausländer und deren Besitz. Einen traurigen Höhepunkt stellte die Eroberung von Guangchou (Kanton) durch die Truppen des Rebellenführer Huang Chao im Jahr 879 dar, bei der zehntausende Kaufleute aus der islamischen Welt und anderen Gebieten massakriert wurden. 880 konnte Huang Chao dann sogar die Hauptstädte Luoyang und Chang'an einnehmen. Erst 884 gelang den Tang treuen Armeen die Niederschlagung der Revolte; die Dynastie fiel aber endgültig in die Abhängigkeit miteinander konkurrierender Kommandeure. Im Jahr 903 besetzte General Zhu Quangzhong Chang'an und erklärte ein Jahr später die bereits im Verfall begriffene Hauptstadt offiziell für aufgelöst. Die letzten Tang-Kaiser überführte Zhu Quangzhong nach Luoyang, wo er 907 die Dynastie für beendet erklärte und sich zum Kaiser seiner eigene Liang-Dynastie ausrief. Damit zerbrach aber auch offiziell die Reichseinheit Chinas, und verschiedene Dynastien kämpften um die Macht
Erst um 960 gelang es der Song-Dynastie, wieder den Großteil Chinas in einer Hand zu vereinen; die territoriale Ausdehnung der Tang-Zeit konnten sie aber nie erreichen. Immerhin intensivierte sich unter ihrer Herrschaft die maritime Vernetzung Südchinas über den Fernhandel nach Südostasien, ein Erbe der Tang-Zeit, das bis zu den letzten großen See-Expeditionen der Ming-Kaiser im 15. Jahrhundert große Bedeutung haben sollte. In der Geschichte Chinas gilt die Epoche der Tang aber bis heute als eine einzigartige Blütezeit, die auch als Vorbild eines neuen Strebens nach Weltgeltung dient.
Werbung für einen chinesischen Monumentalfilm zur Geschichte der Tang aus dem Jahr 2017
Der Autor
Johannes Preiser-Kapeller (* 24. 8. 1977 in Zwettl/NÖ) studierte Byzantinistik und Neogräzistik sowie Alte Geschichte und Altertumswissenschaften in Wien. Seit 2007 an der Abteilung für Byzanzforschung des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und an der Universität Wien tätig. Zahlreiche Publikationen, u. a. zur Globalgeschichte des Mittelalters. Das China der Tang-Dynastie spielt auch eine wichtige Rolle in seinem neu erschienenen Buch "Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300-800 n. Chr." (2018, Mandelbaum-Verlag).